optimistisch

Feinfühlig zu sein, kann auch ein Nachteil sein. Kieran (31) wäre daran fast zerbrochen. Nach Drogensucht und Obdachlosigkeit findet er in unserem Rehazentrum Sunedörfli allmählich Halt.

Ich bin eher introvertiert, beobachte die Menschen und mache mir viele Gedanken. Das war schon in meiner Kindheit so, die ich behütet im Zugerland verbrachte. In der Schule war ich allerdings ein Aussenseiter. Anschluss fand ich nur bei anderen Aussenseitern. Etwa jenen, die kifften, um mich vom mentalen Stress zu entspannen. Das war der Einstieg in eine Lebenserfahrung, die letztlich verheerend für mich war. Rückblickend weiss ich natürlich, dass das nicht gut war. Und dass ich meinen Eltern damit viel Schmerz zufügte. Aber ich war jung, wusste mir nicht anders zu helfen und war zugleich neugierig auf das Leben.

Auf das Kiffen folgten härtere Drogen wie Heroin, Kokain und alle möglichen Substitute und Medikamente. Mit Drogen hielt ich mir Angst und (Welt-)Schmerz vom Leib. Um tiefer und tiefer in der Sucht gefangen zu werden. Schon mit 17 war ich substanzabhängig. Die ersten Monate in der Lehre als Automobilfachmann gingen noch gut. An einer Goa-Party im Sihltal kam der erste grosse Absturz. Mein Lehrmeister wollte mir eine zweite Chance geben, was ich ihm hoch anrechne. Ich aber war psychisch angeschlagen, schämte und verkroch mich. Aus Scham brach ich auch den
Kontakt zu meinen Eltern ab. Ich hatte mir die Sache selbst eingebrockt, also wollte ich sie nicht um Hilfe anbetteln. Es folgten Gelegenheitsjobs in der Baumpflege, in einer Tierarztpraxis und in Altersheimen. Nie von Dauer, die Sucht hatte mich in ihren Krallen. Als ich mich verliebte, schien sich vieles zum Guten zu wenden. Doch selbst als wir eine Tochter bekamen, konnte ich den Drogen nicht entsagen. Fünf Jahre lang kämpften wir uns durch, dann trennten wir uns.

Im ersten Corona-Winter war ich ganz unten angekommen. Ich lebte von Schuss zu Schuss und war obdachlos. Mein Leben schien in tausend Stücke zerbrochen. Es war mein Glück, dass ich in den Pfuusbus fand. Ich war so entkräftet, dass mir eine Betreuerin dort die Schuhe ausziehen musste – ich schaffte es alleine nicht. Die guten Menschen vom Pfuusbus brachten mich ins Spital Sune-Egge. Wichtig für mich war danach der halbjährige Aufenthalt im Wohnheim Ur-Dörfli. Dank meiner Bezugsperson wurde mir klar, dass ich mein Leben nicht nur für mich allein lebe, sondern auch für andere. Das klingt pathetisch, aber im Ur-Dörfli wurde mir bewusst, dass ich ja nicht nur aus Sucht und Elend bestand, sondern dass ich Fähigkeiten habe, von denen andere profitieren können. Ich kann klettern, habe einen Draht zu Tieren und bin empathisch.

Es folgte ein Entzug. Es war nicht mein erster. Aber diesmal wollte ich unbedingt eine anschliessende Therapie machen. Dass ich mich fürs Rehazentrum Sunedörfli entschied, war goldrichtig. Hier, im idyllischen Sihltal, weit weg von der Stadt und ohne ÖV-Anschluss, finde ich Ruhe und zu mir selbst. Ich bin seit bald einem Jahr hier. Die Aufarbeitung meines Lebens ist schmerzhaft. Aber ich spüre, wie die Lebensfreude in mir wächst. Ich betreue hier die Hühner und die Kaninchen und bin unter anderem zuständig für den Werkzeug-Unterhalt. Die körperliche Arbeit tut mir gut. Darin sehe ich durchaus meine berufliche Zukunft. Ich kann mir vorstellen, nach Rehaabschluss bei Bergbauern anzupacken. Oder jungen Menschen Kletterkurse zu geben. Ich habe auch wieder Kontakt zu meinen Eltern, zur Ex-Freundin und, was mich am meisten beflügelt, zu meiner Tochter. Ich sehe sie fast jedes Wochenende. Sie ist jetzt sieben Jahre alt und beginnt zu begreifen, dass ihr Papa krank war und daran ist, gesund zu werden.»
• Aufgezeichnet von Walter von Arburg