selbstverantwortlich

Regina L. arbeitet Teilzeit. Weil das Geld nicht reicht, hätte sie Anspruch auf Sozialhilfe. Die aber will sie nicht, weil sie unabhängig bleiben und niemandem auf der Tasche liegen möchte.

Pfarrer Sieber hat auf mich in meiner Jugend grossen Eindruck gemacht, weil er den christlichen Glauben nicht nur predigte, sondern ihn lebte. Er half Obdachlosen, Drogensüchtigen und Armen. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich Pfarrer Siebers Hilfswerk mal persönlich benötige. Nun bin ich so dankbar, dass mich ein junger Mann der Sozialberatung des SWS in meiner momentan prekären Situation unbürokratisch, aber enorm fachkundig unterstützt.

Er machte mich darauf aufmerksam, dass ich mich als Working Poor nicht unbedingt für die Sozialhilfe anmelden muss, sondern dass es die Form der kleinen Sozialhilfe gibt. Da ersucht man die Gemeinde einzig um Übernahme der Krankenkassenprämien. Damit sollte es mir möglich sein, fast allein aus meiner gegenwärtigen Klemme herauszukommen. Ich möchte nämlich keine Sozialhilfe beziehen, ich will niemandem auf dem Portemonnaie liegen. Ich bin es gewohnt, für mich selbst und für andere zu sorgen.

Ich habe dies stets geschafft. Ich habe zwei Ehen erlebt, einen Sohn grossgezogen, mich im Elternverein engagiert, eine gute Ausbildung genossen und war fast immer berufstätig. Nach meiner KV-Lehre bei der Stadt Zürich war ich unter anderem zehn Jahre bei der kantonalen  Steuerverwaltung tätig. Derzeit arbeite ich zwei Tage pro Woche in einem Treuhandbüro. Gerne würde ich mein Pensum erhöhen. Leider ist das nicht möglich. So muss ich mich also nach einer neuen Stelle umsehen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn ich habe aktuell keine feste Wohnadresse. Die 3,5-Zimmer-Wohnung, die ich mit meinem Sohn 20 Jahre lang bewohnte, konnte ich mit meinem 40 %-Pensum nicht mehr bezahlen, seit er die Zusatzausbildung abgeschlossen hatte und ausgezogen war.

Dank meines guten Beziehungsnetzes bekam ich bei einer Bekannten ein Zimmer. Ich hoffte, rasch eine günstige Wohnung zu finden. Aber ohalätz – ohne eigene Wohnadresse ist es fast unmöglich, mit Banken und Behörden zu verkehren. Am einfachsten wäre es, Sozialhilfe zu beantragen.  Das riet man mir bei der Gemeinde. So hätte ich quasi mit Steuergeldern meine Lebenshaltungskosten vollumfänglich decken können. Aber das widerstrebt mir zutiefst. Ich bin jemand, der anpackt und Selbstverantwortung nicht nur buchstabiert, sondern lebt. Was mir fehlt, ist eine bezahlbare Wohnung für maximal 950 Franken. Die anderen Probleme löse ich. Ohne die Sozialhilfe. Dank Pfarrer Sieber.»
• aufgezeichnet Walter von Arburg