«Wie eine Familie»

Das Fachspital Sune-Egge ist für Pascale E. in den letzten zwei Jahren zu einem Daheim geworden. Auch wenn sie überaus dankbar ist und keine grossen Erwartung hat – einen Wunsch hegt sie noch …

«Klar, die Drogen haben mein Leben geprägt. Vieles haben sie mir kaputt gemacht oder verunmöglicht. So hätte ich gerne einen Beruf gelernt, bei dem man mit Tieren zu tun hat. Aber schon früh begann ich zu kiffen, und noch während meiner Oberstufenzeit kamen härtere Drogen dazu. So stürzte ich nach der obligatorischen Schulzeit ab. Wer daran schuld ist?

Vielleicht wurde ich am falschen Ort zur falschen Zeit geboren. Ich wuchs im Industriequartier vis-à-vis des AJZ auf. So erlebte ich die Demos hautnah mit. Die Aufbruchstimmung der Jugend in den 70er und 80er Jahren faszinierte und ergriff mich. Alles schien möglich, mit Drogen bekamen meine Sehnsüchte vermeintlich Flügel. Natürlich trat die hässliche Fratze des Drogenkonsums bald hervor. Mehrfach versuchte ich den Ausstieg – vergeblich. Weil mein Freundeskreis ausschliesslich in der Drogenszene lebte, hatte ich keine Chance.

Aber ich habe im Leben auch viel Schönes erlebt. So konnte ich nach Istanbul, Italien und Frankreich reisen. Meist mit dem Zug und dem Schiff, oft auch per Autostopp. Ob das gefährlich war? Ich hatte Glück, ich machte nie schlechte Erfahrungen. Ich habe Menschen und Kulturen kennengelernt. Ich bin mit offenen Augen durch die Welt gegangen, habe gestaunt und gelebt. Das Reisen ist das, was mich im Leben am meisten bereichert hat. Leider kann ich das heute nicht mehr. Ich bin seit zwei Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Damit ist meine Mobilität stark eingeschränkt.

Der Sune-Egge ist in einem Wohnhaus mitten im Kreis 5 einquartiert. Alles ist eng, es gibt einen einzigen kleinen Lift, in welchem ich mit dem Rollstuhl nur knapp hineinpasse. Weil der Hauseingang tiefer als das Strassenniveau liegt, komme ich ohne Hilfe nicht nach draussen. Ja, ich wäre gerne mehr draussen, besonders im Sommer. Aber klagen mag ich nicht. Der Sune-Egge ist für mich zu einem Daheim geworden.

Ich würde sogar sagen, dass das gute Verhältnis zwischen den Patienten und den Pflegenden bei mir ein heilendes Familiengefühl schafft. Natürlich nicht immer, manchmal gehen wir uns auf den Geist, wenn jemand mal wieder unter Stress steht. Oder sich die Tage gleichen wie ein Ei dem anderen und es langweilig ist. Da bringt auch die Kunsttherapie nicht viel. Ich bin nicht so der Mal- oder Kreativtyp. Ich spiele lieber am Handy.

Manchmal kann es im Sune-Egge auch laut und ungemütlich werden. Aber das ist ja auch in einer «normalen» Familie manchmal so. Oder etwa nicht? Wie gesagt, ich bin dankbar für alles, was ich hier an Menschlichkeit erleben darf. Nur eine Sehnsucht habe ich noch: Gerne würde ich nochmal eine Reise unternehmen. Wohin? Soll ich dir das wirklich verraten? Okay, es ist ja kein Geheimnis – Korsika.»

• Aufgezeichnet von Walter von Arburg