Im Leben Mut fassen

Wer übernachtet in einer Notschlafstelle? Und warum? Es gibt viele Antworten. Und sie überraschen.

«Oft werde ich gefragt, warum Menschen im Pfuusbus übernachten. Was suchen sie und was finden sie an diesem einfach eingerichteten, durchaus gastlichen Ort, den wir jeweils für die Wintermonate auf dem Kiesplatz oberhalb des Strassenverkehrsamts in Zürich einrichten?

Es gibt viele Antworten auf diese Frage: Die Übernachtung im Pfuusbus ist kostenlos, ebenso das Essen, das jeden Abend frisch zubereitet wird. Wer möchte, darf seinen Hund mitbringen. Die freiwilligen Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter sind freundlich, motiviert, zuwendend. Es gibt ein paar klare Regeln, keine Routine. Menschen kommen in den Pfuusbus, weil sie da jemanden finden, der ihnen zuhört, sie auch mal umarmt, eine Träne abwischt und ihnen Mut macht. Einen Weggefährten. Eine SWS-Mitarbeiterin. Die schönste und für unser Wirken richtungsweisende Antwort gab mir am Weihnachtsabend ein Pfuusbus-Gast, der seinen ersten Winter im Pfuusbus verbringt: «Weil ihr an mich glaubt.»

Was die Menschen verbindet, deren Lebensgleise sich im Pfuusbus, aber auch in unseren Notschlafstellen Iglu und Nemo, im Gassencafé Sunestube und in der Anlaufstelle Brot-Egge kreuzen: Ihre Lebensgeschichten. Die Lebensgleise unserer Gäste sind verbogen, aus der Spur gehoben und führen scheinbar ins Nichts. Und sie führen die betroffenen Menschen entweder in die Resignation oder in einen kräfteraubenden Kampf um Würde, Recht, Anerkennung und Respekt – und in eine Perspektive jenseits von Sucht, Obdachlosigkeit, Verwahrlosung und Einsamkeit.

In ihrem Ringen darum, ihre Lebensgleise wieder auszurichten, bringen viele der uns anvertrauten Menschen zwei Qualitäten zum Ausdruck, die lebenserhaltend sind: Zärtlichkeit und Wut. Zärtlichkeit als Kraft, die zu schützen vermag, was es in den Trümmern jeden Lebens noch zu schützen gibt. Und Wut als Kraft, die manchmal aufflammt und die Macht hat, ein scheinbar unwiderruflich verformtes Stück Lebensgleis wieder zurechtzubiegen. Warum kommen Menschen in den Pfuusbus? – Weil wir an sie glauben. Weil Zärtlichkeit und Wut Platz haben. Damit Menschen im Leben wieder Mut fassen.»

• Pfr. Christoph Zingg, Gesamtleiter