Im Gespräch mit Bischof Joseph Maria Bonnemain

Joseph Maria Bonnemain (*1948) ist seit 19. März 2021 römisch-katholischer Bischof von Chur.

Fühlten Sie sich auch schon einmal einsam? Wo?

Extreme Positionen polarisieren immer stärker, seit einiger Zeit auch wegen der Pandemie. Ich möchte beide Seiten verstehen. Manchmal ist es schwierig, eine Brücke zu schlagen und dass diese auch benützt wird. Wo dies nicht gelingt, fühle ich mich etwas allein.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, warum so viele Menschen vereinsamen, wo es doch immer mehr Menschen gibt?

Wir sind heute über das Internet ständig mit der ganzen Welt verbunden, haben aber die Verbindung zu uns selber verloren. Unsere Zeit ist oberflächlich und schnelllebig geworden. Achtsamkeit braucht Zeit. Ebenso das Pflegen von Beziehungen mit anderen Menschen und mit Gott. Das ist eine grosse Herausforderung.

Welches Mittel gegen die Vereinsamung empfehlen Sie?

Zuerst: achtsam mit sich selber umzugehen. Sich jeden Tag einen Moment für sich selber zu nehmen, innezuhalten und auf unser Innerstes zu horchen. Wenn ich einen Zugang zu mir selber habe, finde ich ihn wie selbstverständlich auch zum anderen. Und dann geschieht das Wunder der Begegnung.

Was assoziieren Sie mit Pfarrer Sieber und seinem Hilfswerk?

Die Botschaft, dass jeder Mensch dem anderen ein Bruder oder eine Schwester ist und dass der Mensch in der Mitte sein muss. Das ist der Auftrag, den Christus uns mitgegeben hat. Darum sollen wir uns geschwisterlich umeinander kümmern und besonders für diejenigen sorgen, die in Not sind.

Welche Rolle soll das Sozialwerk Pfarrer Sieber Ihrer Meinung nach heute spielen?

Es soll weiterhin viel mehr als ein Sozialwerk unter anderen sein. Sein Plus ist die tiefe christliche Verwurzelung, welche Pfarrer Sieber ein für alle Mal seinem Werk gegeben hat. Unser Glaube kristallisiert sich in der Nähe zu den Menschen, die ganz an den Rand unserer Gesellschaft geraten sind.