Mit Dankbarkeit

Nach seinem Entzug hilft Mohammed heute Menschen in Not. 

Als ich 2009 das Ur-Dörfli des Sozialwerks Pfarrer Sieber betrat, wusste ich, dass ich am Wendepunkt meines Lebens stand. Die Jahre davor hatten mich an meine Grenzen gebracht. Familiäre Verluste, Schwierigkeiten in der Beziehung und Leistungsdruck im Berufsleben lasteten schwer auf mir. Drogen waren damals mein Ausweg, doch sie führten mich gleichzeitig in eine Sackgasse. Ohne festen Halt und mit Gelegenheitsjobs, die gerade so meine Abhängigkeit finanzierten, war mein Alltag geprägt von Unsicherheit und Einsamkeit. 

Im Ur-Dörfli fand ich eine Zuflucht, die mir weit mehr als ein Dach über dem Kopf bot. Hier gewann ich die nötige Stabilität zurück. Die Unterstützung, die ich erhielt, reichte weit über das Übliche hinaus. Allen voran waren es die Betreuer vor Ort, die mir halfen, meine Perspektiven zu überdenken und einen neuen Weg einzuschlagen. Stück für Stück löste ich mich aus der Sucht. Bis ich 2015 als genesen galt und einer Anstellung in einer Unternehmung des öffentlichen Verkehrs nachgehen konnte. Zudem fand ich mit meiner Partnerin eine Wohnung in der Nähe von Pfarrer Siebers Anlaufstelle Brot-Egge, die für fünf Jahre unser Zuhause wurde.

Während der Zeit im Brot-Egge wurde mir bewusst, wie wichtig es mir war, etwas zurückzugeben. Neben meiner Arbeit half ich bei einer Wäscherei aus und engagierte mich freiwillig bei einer Lebensmittelabgabe für sozial Benachteiligte. Dieses Engagement öffnete mir die Tür zu weiteren Möglichkeiten beim Sozialwerk Pfarrer Sieber. Als Springer sammelte ich Erfahrungen in verschiedenen Einrichtungen, was schliesslich zu meiner festen Anstellung im Iglu führte. Heute betreue ich Menschen, die unsere Notschlafstelle aufsuchen, und helfe beim Sommerprojekt mit, das ehemaligen Pfuusbus-Gästen eine neue Perspektive bietet.

Meine Aufgaben umfassen weit mehr als organisatorische Tätigkeiten. In den Nächten bereite ich das Frühstück für die Gäste vor und trage die Verantwortung für den gesamten Betrieb. Dass ich ein Nachtmensch bin, hilft mir bei diesen besonderen Arbeitszeiten. Mit den Gästen suche ich gerne das Gespräch. Dabei erleichtern mir meine vielfältigen Sprachkenntnisse den Zugang zu den unterschiedlichsten Menschen. Ein Vorteil, der es mir ermöglicht, die Bedürfnisse der Gäste besser zu verstehen und sie in ihrer Situation gezielt zu unterstützen.

Seit vier Jahren lebe ich mit meiner Partnerin in einer eigenen Wohnung unweit des Iglu. Ich habe gelernt, Abstand von den Orten zu nehmen, die mit meiner Suchtvergangenheit verbunden sind. Mein Leben hat sich stabilisiert, und ich bin dankbar für die zweite Chance, die ich erhalten habe. Die Arbeit im Iglu ist für mich mehr als ein Job. Sie ist eine Möglichkeit, das Gute, das ich erfahren habe, weiterzugeben. Für die Zukunft habe ich einen grossen Wunsch: Nach vielen Jahren möchte ich meine Verwandten in Tunesien wiedersehen und sie in die Arme schliessen. Bis dahin werde ich weiterhin alles daran setzen, das Beste aus dem Leben zu machen und Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen. Denn ich weiss: Jeder Schritt nach vorne zählt.

• Aufgezeichnet von Michael Rohrbach, freier Mitarbeiter