Mit Liebe und Selbstdisziplin
Thomas kommt nach seiner Schmerzmittel- und Alkoholabhängigkeit im Schärme wieder auf die Beine.
An meiner ersten Arbeitsstelle, einem Notariat einer Zürcher Agglomerationsgemeinde, lernte ich meine grosse Liebe kennen. Damals war ich grad 20. Unsere Beziehung hielt 26 Jahre. Schade, scheiterte unsere Ehe. Allein schon wegen unserer drei Töchter, die meine Perlen sind. Aber so hart kann das Leben sein.
Später wechselte ich zur Polizei. Der Schritt war nicht so abwegig, wie es vielleicht erscheint. Im Militär hatte ich es bis zum Hauptmann gebracht. Der Dienstalltag und die Umgangsformen waren mir also durchaus vertraut. Nach einigen Jahren bekam ich dann die einmalige Chance, bei einer grossen Versicherungsgesellschaft eine Teamleitung im Hypothekarbereich zu übernehmen. Es gefiel mir dort sehr.
Ich glaube, ich wäre noch heute dort, wäre nicht dieser Bruch in meinem Leben gekommen. Ein schlimmer Töffunfall zerstörte mein rechtes Bein. Es drohte die Amputation. Elf Monate lag ich im Spital. Mein Bein konnte gerettet werden, aber die Schmerzen wollten einfach nicht verschwinden, trotz morphiumbasierter Medikamente. Ich hielt es kaum aus – und ich war für meine Frau nicht auszuhalten. Sie liess sich scheiden. Von einem auf den anderen Moment verlor ich alles – Frau, Kinder, Job. Ich griff zum Alkohol, um zu vergessen. Dabei merkte ich, dass meine Schmerzen unter Alkoholeinfluss nachliessen. Damit war ich doppelt süchtig geworden.
Nach einem heftigen Streit mit meiner neuen Freundin im vergangenen Frühjahr fiel es mir wie Schuppen von den Augen: So will ich nicht weitermachen, sonst verliere ich am Ende auch sie. Mir wurde auch klar, dass mich meine Töchter nicht für voll nehmen. Das tat weh. Ich wollte doch ein ernstzunehmender Papa sein. Mein Kampfeswille war geweckt, den ich wohl in meiner Offizierslaufbahn trainiert hatte, wo ich immer wieder vor körperliche und mentale Herausforderungen gestellt war.
Zudem erinnerte ich mich an eine Begegnung mit Pfarrer Sieber. Mein Vater war ein grosser Fan und nahm mich als Bub in seine Gottesdienste mit. Pfarrer Sieber schaffte es mit seiner bodenständigen Sprache und seinen einleuchtenden Metaphern, dass ich einen Zugang zu einem positiven Gottesbild fand. Salopp könnte man wohl sagen, dass mich mein Wille und mein Glaube aus der Sucht herausführten.
Das klingt allerdings einfacher, als es war. Ich machte den Alkoholentzug. Das war die Hölle. Aber es lohnte sich. Ich begann wieder mit Fitnesstraining. Mein Körpergefühl kehrte zurück. Meine Gesundung verdanke ich vor allem den Mitarbeitern in Pfarrer Siebers Hilfswerk. Gerade in der Wohneinrichtung Schärme erlebte ich konkret, was es heisst, nicht allein gelassen zu werden.
Seit September arbeite ich wieder. Vorerst im zweiten Arbeitsmarkt als Gruppenleiter in einer Behinderten-Werkstatt. Mein Ziel ist, beruflich wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Durch die Medikamente, die meine Beinschmerzen besser lindern als Morphium, kehrten ein positives Körpergefühl und die Lebensfreude zurück. Es gibt nichts Schöneres, als die Liebe zu meiner Freundin und meinen Töchtern zu leben. Das stellt jedes Drogenerlebnis in den Schatten! Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen bin ich gegen eine Drogenlegalisierung. Ich denke, dass viele Menschen Drogen als Liebesersatz konsumieren. Dabei sind Beziehungen der Schlüssel gegen Sucht. Das predigte Pfarrer Sieber. Ich kann das nur bestätigen.»
• Aufgezeichnet von Walter von Arburg