Samuel möchte auf eigenen Füssen stehen

Samuel (60) verbrachte sein halbes Leben im Ausland. Bis er im Rollstuhl landete. Heute pendelt er zwischen Altersheim und Fachspital
Sune-Egge. Er blickt zurück:

Geboren und aufgewachsen bin ich in Pfäffikon ZH. Schon in jungen Jahren wollte ich die Welt entdecken. Es hielt mich nie lange an einem Ort. Nach einem Praktikum als Pfleger bewarb ich mich für eine Ausbildung zum Psychiatriepfleger. Der Vertrag war bereits aufgesetzt, doch ich folgte der Einladung eines ehemaligen Arbeitskollegen und verliess kurzerhand die Schweiz, um in Berlin in einem Gefängnisabteil eines Spitals zu arbeiten. Als überzeugter Punk konnte ich mir das nicht entgehen lassen.

Es dauerte genau neun Monate, bis ich wieder in Zürich landete. Und kurz darauf im Tessin, wo ich unter anderem für ein Jahr als Hilfsdachdecker und als Bootsvermieter jobbte. Später verschlug es mich und meine Freundin in eine stillgelegte Fabrik in Florenz. Dort lebten wir in einer Gemeinschaft. Nebst einem Skaterpark gab es sogar eine Art Notfallklinik für Migranten.

Als dann meine Freundin mit 21 Jahren an ihrer HIV-Infektion starb, fiel ich ein Loch. Ich fing an, harte Drogen zu nehmen. Ich entdeckte das Tätowieren und kam mit einer Italienerin zusammen. Gemeinsam eröffneten wir in der Schweiz ein Tattoo-Studio. Das ging einige Zeit gut, bis ich Lähmungserscheinungen in meinem rechten Unterarm bekam. Deshalb half ich mir mit dem Verkauf von Siebdruck-T-Shirts über die Runden.

Doch dann ging die Beziehung in die Brüche und ich konnte das Studio nicht mehr halten. Deshalb beantragte ich bei der Invalidenversicherung eine Rente. Als Selbstständiger musste ich zuerst viele Auflagen erfüllen sowie behördliche Hürden überwinden, bis mein Antrag gutgeheissen wurde. Stolz darauf bin ich nicht, denn ich wollte mein Geld schon immer selbst verdienen.

Obschon ich einige Jahre clean war, wurde ich letztes Jahr aufgrund einer folgenschweren Medikamentenüberdosierung depressiv und fiel in eine Alkoholsucht. Das führte so weit, dass ich ständig zwischen Spital und Suchtklinik pendelte und schliesslich in Pfarrer Siebers Sune-Egge landete.

Meine Sucht verursachte immer wieder Wutausbrüche. Nach einem Handgemenge schlug ich hart auf dem Boden auf. Seither kann ich nicht mehr richtig gehen. Jetzt lebe ich im Altersheim und bin an den Rollstuhl gefesselt.

Dank meiner Gewichtsreduktion und der grossartigen Wundversorgung im Sune-Egge geht es mir nun langsam besser. Die Leute hier sind freundlich und nehmen mich ernst. Das tut gut. Gerne würde ich wieder nach Italien reisen, wo meine Freunde leben. Meine gegenwärtige Situation lässt das leider nicht zu. Dennoch möchte ich so bald wie möglich wieder auf eigenen Füssen stehen.»

• aufgezeichnet von Michael Rohrbach, freier Mitarbeiter