«Ohne zu zögern, nahm ich das Angebot an»
Die Füsse hochzulagern, ist nichts für Pierre (Name geändert). Trotz seines Alters sorgt er engagiert für Ordnung und Sauberkeit in der Notschlafstelle Iglu und in der Anlaufstelle Brot-Egge.
Von Montag bis Freitag widme ich meine Vormittage im Iglu der Reinigung der Toiletten und Böden. Nach der Mittagspause putze ich im Brot-Egge. Auch während der Nacht bleibe ich auf Abruf und bin innert weniger Minuten vor Ort, wenn meine Hilfe benötigt wird. Der Winter bringt oft eine grössere Zahl an Gästen mit sich. Das bedeutet, dass es auch mehr zu putzen gibt. Der Mehraufwand macht mir jedoch nichts aus. Selbst bei hartnäckigen Verschmutzungen scheue ich mich nicht davor, eine Zahnbürste zur Hand zu nehmen, um dem Schmutz auch im unzugänglichsten Winkel den Kampf anzusagen.
Mein Weg ins Iglu führte über mehrere Stationen. Ursprünglich studierte ich Geschichte und Politikwissenschaften und arbeitete anschliessend während 30 Jahren in der Sicherheitsbranche. Das Ende meiner Karriere folgte, als ich mit einem neuen Vorgesetzten konfrontiert wurde, der die alte Garde loswerden wollte. Meine Einsatzzeiten reduzierten sich kontinuierlich, bis ich schliesslich vor der Frage stand, wie ich meine Rechnungen bezahlen sollte.
Mit über 50 Jahren und zunehmenden Schwierigkeiten, eine neue Stelle zu finden, musste ich einen Ausweg finden und meldete mich beim Sozialamt. Der Plan scheiterte, als mir das Amt keine rasche Unterstützung zusprechen konnte. Ich war enttäuscht und fühlte mich im Stich gelassen. Eine andere Lösung musste her. Ich packte meine Sachen und entschied mich, unter der Brücke beim Letten zu leben. Dort lernte ich zum ersten Mal das Sozialwerk Pfarrer Sieber kennen. Einer seiner Seelsorger wies mich auf den Pfuusbus hin, der Obdachlosen Hilfe bietet. Zu meiner Freude wurde mir im Albisgüetli nicht nur ein Schlafplatz angeboten, sondern auch eine Beschäftigung als Platzwart für eine Saison. Ohne zu zögern, nahm ich das Angebot dankbar an. Nach jener Saison durfte ich meine Dienste im Brot-Egge fortsetzen, wo ich bis heute für den Hausdienst zuständig bin.
Ich habe mich mit meiner aktuellen Situation arrangiert und bin zufrieden mit meinem Leben. In meinem Alter lastet nicht mehr dieselbe Bürde unerfüllter Möglichkeiten auf meinen Schultern wie in jüngeren Jahren. Meine Aufgaben erledige ich mit einer Selbständigkeit, die mir keiner streitig macht. Und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen funktioniert reibungslos. Mit den Gästen führe ich gelegentlich Gespräche, obwohl Sprachbarrieren eine vertiefte Verständigung erschweren. Einen Ausgleich zur Arbeit finde ich in der Natur oder beim Kochen. Insbesondere die Spaziergänge im Wald bedeuten mir viel. Wenn man den ganzen Tag die gleichen Gesichter sieht, bringen Bäume und Pflanzen eine willkommene Abwechslung.
• Michael Rohrbach, freier Mitarbeiter