Hier finde ich, was ich mein Leben lang gesucht habe
Im Sune-Egge fühlt sich Mike am richtigen Ort. Hier wird er als Suchtkranker verstanden und findet Unterstützung für seine Gesundheit und seine Zukunft.
«Mein Leben ist eine einzige Achterbahnfahrt. Schon als Kind musste ich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Als mein Vater mit meinen Geschwistern nach Österreich zurückging, blieb meine Mutter mit mir allein. Sie arbeitete viel und war mit der gesamten Situation überfordert. Ich lebte teils bei Pflegeeltern, wechselte zwischen verschiedenen Welten hin und her. In der Schule galt ich als Zappelphilipp und hatte Mühe, mich zu konzentrieren. Aber ich kämpfte mich durch, schloss die Sekundarschule ab und startete eine Lehre als Koch. Gleichzeitig wurde das Zuhause bei meiner Mutter immer mehr zum Ort von Streit und Spannungen. Ich suchte nach Unabhängigkeit und verdiente bald mein eigenes Geld. Mit 15 kam ich in Kontakt mit Drogen. Was zunächst aus Neugierde begann, entwickelte sich schnell zu einer Spirale, aus der ich nicht mehr herauskam. Die Drogen schenkten mir das Gefühl von Geborgenheit, das ich im Alltag oft vermisste. Die Arbeit gab mir zwar Struktur, aber die Sucht holte mich immer wieder ein. Selbst eine berufliche Neuorientierung zum Metallbauschlosser oder mein Praktikum als Baumschulist führten nicht zum erhofften Erfolg.
Ein erster Entzug in Österreich gab mir Hoffnung. Dort fühlte ich mich wohl, fand Halt bei meinem Vater und arbeitete in einer Schlosserei. Sobald ich zurück in der Schweiz war, zog es mich wieder in die Szene. Schliesslich verlor ich alles: meinen Job, meine Wohnung, meine Perspektive. Es folgten mehrere Entzüge, Neuanfänge und Rückfälle. Ein ständiges Ringen zwischen dem Wunsch nach einem normalen Leben und dem Zwang der Abhängigkeit. Ich rutschte immer weiter in die Kriminalität ab, um meine Sucht zu finanzieren. Beziehungen zerbrachen, Wohnsituationen waren instabil, und am Ende stand ich oft mit leeren Händen da.
Ich schlitterte in eine Lebenskrise, war gesundheitlich stark angeschlagen und landete im Spital. Dort wurde ich auf das Sozialwerk Pfarrer Sieber aufmerksam gemacht und bald darauf in das Fachspital Sune-Egge verlegt. Ich wusste nicht, was mich erwartet, und hatte Angst, meine Unabhängigkeit zu verlieren. Ich erkannte jedoch schnell, dass es hier nicht darum geht, mich zu kontrollieren oder mir Vorschriften zu machen. Sondern darum, mir eine echte Chance zu geben. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich verstanden. Die Ärzte, die Pflegefachkräfte und sogar das Küchenpersonal behandelten mich auf eine liebevolle Art, die mich tief berührte. Nach drei Monaten kehrte ich in meine Wohnung zurück. Die Realität holte mich schnell ein. Meine Untermieterin verursachte Ärger, und die Nachbarn beschwerten sich, bis die Verwaltung die Heizung abschaltete. Wieder stand ich vor einem Abgrund. Mir war sofort klar, dass ich Hilfe brauchte. Diesmal zögerte ich nicht lange und fragte nochmals nach einem Platz im Sune-Egge, der mir letzten Dezember zum zweiten Mal zugesprochen wurde.
Was diese Einrichtung für mich von anderen Spitälern unterscheidet, ist die Art der Betreuung. Keine sterile Atmosphäre, keine starren Abläufe, sondern ein Umfeld, das sich an den Menschen orientiert. Hier finde ich das, was ich mein Leben lang gesucht habe: Geborgenheit, Schutz und eine Perspektive. Es gibt therapeutische Angebote, medizinische Versorgung und vor allem Menschen, die zuhören. Die Sucht wird als Krankheit betrachtet, nicht als persönliches Versagen. Ich kann meine Geschichte erzählen, ohne verurteilt zu werden. Ich darf ich selbst sein. Früher wollte ich so schnell wie möglich zurück in meine Autonomie. Heute ist der Sune-Egge mein Anker und mein Sprungbrett. Für die Zukunft wünsche ich mir vor allem eines: weiter stabil zu bleiben und Fortschritte zu machen. Doch was auch immer kommt: Ich weiss, dass ich diesen Weg nicht allein gehen muss.»
• Aufgezeichnet von Michael Rohrbach, freier Mitarbeiter