unterwegs

Die Buslinie 32 braucht 33 Minuten vom Strassenverkehrsamt bis zum Zehntenhausplatz. Sie durchquert dabei fast die gesamte Stadt, fährt durch hippe Wohngegenden mit Cafés und individuell gestalteten Lädeli, durch die vibrierende Langstrasse mit dichtem Verkehr und entlang an ruhigen Familienquartieren: Die Fahrgäste wechseln häufig, steigen zielstrebig ein und aus, telefonieren auf dem Weg oder lesen Nachrichten. Alle haben ein Ziel, eine Aufgabe, sind von ihren Handys abgelenkt oder vielleicht ein bisschen knapp dran.

Vereinzelt finden sich im Bus Menschen, die auf den zweiten Blick etwas müde aussehen. Sie haben auch einige Einkaufstüten bei sich, doch sie müssen nirgends hin. Es ist nicht von vorne herein klar, wann sie aussteigen. Sie ruhen sich aus und versuchen vielleicht, eine Weile an gar nichts zu denken. Sie fahren mit demselben Bus wie all die anderen Passagiere und doch ist ihre Welt eine ganz andere. Sie sind nicht auf dem Weg nach Hause: Sie müssen sich ihr eigenes Zuhause sein. Viele der Menschen, für die wir da sind, sind geübt darin, sich einen Raum im Fremden, im Flüchtigen zu schaffen. Wer kein Zuhause hat, muss sich Halt suchen, wo er sich eben gerade befindet. Sie haben keinen Rückzugsraum, keinen Ort, der ihnen zusteht. Auch sonst sind die Besitztümer gering: Oft sind es nur wenige Kleidungsstücke, eine Tasche, ein Rucksack. Manchmal so viel, wie sich eben gerade noch tragen lässt.

Die Taschen werden wachsam gehütet. Es sind nicht die Gegenstände an sich, die wertvoll sind – es ist die Kontinuität, die sie schaffen. Etwas Vertrautes, Bleibendes in Umständen und Umgebungen, die ständig wechseln. Ständig unterwegs zu sein und nie anzukommen, kostet enorm viel Kraft, körperlich wie mental. Wenn wir Glück haben, haben sie genug Vertrauen, an einem unserer Angebote auf der Strecke auszusteigen, für eine Übernachtung, ein kostenloses Zmittag, ein offenes Ohr: Eine kleine Verschnaufpause, und, mit etwas Glück: Ein neuer Anfang.

Friederike Rass, Gesamtleiterin