Die Einsamkeit macht mir zu schaffen
Pius versucht, mit Drogen seine Enttäuschungen zu vergessen. Dass er Seelsorger Andreas Käser kennenlernte, bezeichnet er als Glücksfall.
Aufgewachsen bin ich zusammen mit drei Geschwistern in Schwamendingen. Meine Eltern waren gschaffige Leute und wir hatten es als Familie gut. Früh schon faszinierte mich der Werkstoff Eisen und wie man mit Muskelkraft und Amboss damit Dinge herstellen kann. So war es wohl folgerichtig, dass ich Kunst- und Metallbauschlosser lernte. Später machte ich eine Zusatzausbildung in röntgensicherem Schweissen. Dieses hochspezialisierte Fachwissen erlaubte es mir, in jungen Jahren mehrmals für Arbeitseinsätze in die USA und nach Kanada zu reisen. Das war cool, das Amerika der späten 1970er-Jahre! Ich erinnere mich, dass ich in Washington D.C. zum ersten Mal in meinem Leben in einem Hochhaus mit einem Expresslift fuhr. Einem Schweizer Produkt notabene. Unglaublich, die Beschleunigung! Der Kopf ist schon oben, der Magen noch unten ...
Ich genoss meine Amerika-Einsätze. Dann lernte ich in Zürich meine Frau kennen und lieben. Wir heirateten und bekamen zwei Kinder. So war es mit meiner Reiserei vorbei. Das war aber kein Problem, weil ich jetzt eine Familie hatte und hier genügend interessante Arbeit fand. Bis dann der Moment kam, der alles veränderte. Eines Tages kam ich früher von der Arbeit nach Hause – und fand meine Frau mit einem anderen Mann im Bett.
Fast noch schlimmer als den Betrug empfand ich, dass ich als Mann nach der Scheidung «gemolken» wurde und sie unterstützen musste. In meinem Schmerz zog ich mich zurück. Ich verlor die Energie, den Willen und meine Kreativität und begann, Drogen zu nehmen. Ich hoffte, dadurch vergessen zu können. Bis heute komme ich nicht los davon. Dabei war mir klar, was Drogen anrichten, war ich doch noch vor meiner Sucht als Helfer mit Pfarrer Sieber auf dem Letten unterwegs und sah viel Elend. Aber meine Enttäuschung war abgrundtief. Und so wurde ich obdachlos.
Gottlob traf ich im Pfuusbus wieder auf Pfarrer Sieber und seine Leute. Ein besonderes Verhältnis entwickelte sich zu Seelsorger Andreas Käser. Ihn treffe ich regelmässig auf der Gasse. Er kann gut zuhören und ist dennoch nicht einfach ein Ja-Sager. Er ist ebenso sensibel wie ich. Irgendwie ein Seelenverwandter. Er ist einer der wenigen Menschen, denen ich vertraue und die mir Kraft geben. Ich freue mich jedes Mal, wenn wir uns begegnen.
«Im Pfuusbus fand ich Gemeinschaft.»
Leider treffen wir uns nicht mehr im Pfuusbus, weil in Zürich angemeldete Obdachlose nur noch in der städtischen Notschlafstelle übernachten dürfen, um den Pfuusbus zu entlasten. Dabei liebte ich den Pfuusbus wegen der Atmosphäre. Ich fand stets Gemeinschaft, die mir in meinem Kampf gegen die Vereinsamung so gut tut. Die Betreuer nehmen sich Zeit für uns Gäste und haben ein offenes Ohr, wenn man seine Sorgen loswerden muss. Ich habe nun ein Zimmer in der städtischen Nachtpension; das ist die Notschlafstelle für Langzeitobdachlose. Gemeinschaft finde ich dort aber nicht. Deshalb schlafe ich bisweilen draussen auf der Strasse. Zwar muss ich dort stets aufpassen, nicht von Passanten angepöbelt oder gar vermöbelt zu werden, aber ich fühle mich weniger allein …
Ich würde mich freuen, wenn ich eine Wohngelegenheit an einem Ort fände, wo ich mein eigenes Zimmer habe, aber nicht mehr allein bin. Ich bin hoffnungsvoll, es mit Hilfe der Leute von Pfarrer Sieber zu schaffen.»
• aufgezeichnet von Walter von Arburg