nicht mehr allein

Entwurzelung führte Luis (54) in die Sucht.

«Die Nachricht von Pfarrer Siebers Tod erschütterte mich zutiefst. Ich war am Tiefpunkt angelangt: drogensüchtig und ohne Kontakt zu meinen Kindern, meinem Vater und meiner Grossmutter. Der Pfarrer, so nannten wir Ernst Sieber, war für mich ein Leuchtturm gewesen. 

Mit seinem Tod wurde mir bewusst, dass ich nicht nur für mich lebte, sondern auch für andere. Das hatte mir der Pfarrer immer wieder gesagt. Im Pfuusbus spürte ich jeweils, was er meinte. Und es steht dort noch heute in grossen Buchstaben: «Du bisch nöd eläi!» Aber gell, wenn du grad auf einem Drogentrip bist, prallt vieles einfach an dir ab. 

Geboren wurde ich in Angola als Sohn eines Portugiesen und einer Angolanerin. In den Wirren des angolanischen Unabhängigkeitskriegs musste mein Vater 1974 Hals über Kopf fliehen. Ich wurde von meiner Mutter getrennt, was traumatisch war. Als 5-Jähriger kam ich in ein mausarmes Nest im Hinterland von Portugal, wo mich meine Grosseltern unter ihre Fittiche nahmen. Zehn Jahre später holte mich mein Vater nach Zürich. Wieder wurde ich ungefragt von einem geliebten Menschen, meiner Grossmutter, getrennt. Die pulsierende Stadt Zürich war für mich als 14-Jähriger ein Kulturschock. Dass es mir, der kein Deutsch sprach, nicht einfach gemacht wurde, kann man sich wohl vorstellen. Ich war ein Niemand, in einer Integrationsklasse mit lauter Ausländern. Im Kreis 4 konnte ich später eine Lehre als Verkäufer für Musikinstrumente machen. Da kam ich mit Kiffen und anderen Drogen in Kontakt. 

Zu Beginn der 1990er-Jahre lernte ich meine erste Frau kennen und zog zu ihr ins Zürcher Oberland. Die Geburt unserer Tochter überforderte uns beide. Ich stürzte erstmals komplett ab. Aus drei weiteren Beziehungen stammen drei weitere Kinder, zu denen ich emotional zunächst kaum Kontakt aufbauen konnte, weil mich die Sucht absorbierte.

Es war die Liebe meiner Kinder, die mir Kraft gab. Nach einem kalten Drogenentzug, einer grausamen Tortur, schaffte ich die Abstinenz. Heute arbeite ich mit einem 80-Prozent-Pensum in einem Arbeitsintegrationsprojekt. Ich begann, mich mithilfe einer Therapeutin mit meiner Vergangenheit zu beschäftigen. Das Rote Kreuz hilft mir bei Nachforschungen über meine Mutter. Wenn ich genügend Hinweise habe, will ich sie in Angola suchen. Ob ich sie finde, weiss ich nicht. Einen Weg zu mir selbst habe ich gefunden.»

• Walter von Arburg, Leiter Kommunikation