Viele kleine Schritte 

Samuel* war obdachlos. Versuche mit verschiedenen betreuten Wohneinrichtungen scheiterten. Jetzt ist er im Ur-Dörfli zuhause.  

Ich lebe seit drei Jahren hier. Hier fühle ich mich wohl, habe ein Daheim gefunden. Das ist nicht selbstverständlich; bislang scheiterten alle meine Stabilisierungsversuche in anderen betreuten Wohneinrichtungen. Dass es hier bei den Sieber-Leuten klappt, ist wesentlich das Verdienst der Betreuerinnen und Betreuer. Sie sind an uns Bewohnern ernsthaft interessiert. Sie nehmen sich Zeit für uns und investieren viel Herzblut. Sie fordern, aber überfordern nicht. Wir Bewohner haben unsere Ämtli, können im Atelier, in der Holzwerkstatt oder der Küche arbeiten. Wenn es der gesundheitliche Zustand denn zulässt. Mir jedenfalls hilft das sehr. Ich arbeite in der Küche. Das mache ich gerne. Als gelernter Beck-Konditor bin ich es gewohnt, mit Lebensmitteln und Hygienevorschriften umzugehen. 

Leider konnte ich meinen erlernten Beruf wegen einer Mehlallergie nicht ausüben und musste umsatteln. Als ich Anfang der 1980er Jahre vom ländlichen Schaffhausen ins pulsierende Zürich kam und hier die Handelsschule besuchte, kam ich in Kontakt mit Drogen. Ich begann zu kiffen; rasch folgten härtere Drogen. Eine Abwärtsspirale begann sich zu drehen. Dabei war ich eigentlich ein äusserst beliebter und guter Angestellter, weil ich exakt und speditiv arbeitete. Wegen meiner Sucht litt meine Arbeitsleistung aber zusehends, bis es nicht mehr ging.
Ich verlor alles, meinen Job, meine Wohnung. Während zwei Jahren war ich dann obdachlos. Als ich völlig entkräftet in den Sune-Egge kam, war mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. 

«Ich hatte Angst wieder abzustürzen. Aber zu verlieren hatte ich nichts. Also wagte ich es.» 

Doch der Weg aus dem Elend war und ist steinig: Mehrere Entzüge und Versuche in betreuten Wohneinrichtungen scheiterten. Bis ich ins Ur-Dörfli fand. Dabei war ich zunächst skeptisch, ob ich überhaupt hierherkommen sollte. Eine suchtakzeptierende Einrichtung schien mir doch etwas wenig hilfreich. Weil die Bewohner fast alle süchtig sind, hatte ich angst, hier wieder abzustürzen. Aber zu verlieren hatte ich nichts. Also wagte ich es. Zum Glück. Ich konsumiere inzwischen keine Drogen mehr und meinen Alkoholkonsum konnte ich kontinuierlich senken. Ob ich es schaffe, ganz davon wegzukommen? Ich hoffe es und arbeite daran. 

Mein Ziel ist, irgendwann wieder selbständig zu wohnen. Allerdings habe ich Respekt davor.  Nicht vor den vier Wänden, aber vor dem Alleinsein. Ich weiss nicht, ob mir das gut tut. Zudem ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt prekär. Vor allem für Menschen mit einer Biografie wie meiner ist es fast aussichtslos, eine Wohnung zu finden. Aber ich bleibe dran. In kleinen Schritten. Und unterstützt von meiner Bezugsperson. 

*Name geändert