Wie weiter?

Seit 2012 lebt Klaus* in Brothuuse. Diesen Sommer wird er als Haus- meister pensioniert. Nun macht ihm Corona einen Strich durch die Rechnung. 

Wer Klaus’ Wohnung in Brothuuse betritt, merkt rasch: Hier haust jemand bescheiden. Auf 22 m2 sind ein Badezimmerchen, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer samt Küche untergebracht. In die Stube zwängen sich ein Sofa, zwei Fauteuils, ein niedriges Salontischchen, eine Kommode und ein opulenter Kühlschrank. Auf einem schmalen Korpus gleich neben dem Kochherd thront ein stattlicher Fernseher – ein sich duckender Elefant. «Er ist mein Fenster zur Welt», sagt Klaus stolz. Fernseher und Computer sind für ihn und die anderen Brothuuse-Bewohner die wichtigsten Möbelstücke ihrer kleinen Privaträumlichkeiten. Wer kaum über Sozialkontakte verfügt, nimmt so wenigstens als Zuschauer am Gesellschaftsleben teil. Mit seiner Wohnsituation ist Klaus in Brothuuse jedoch verhältnismässig luxuriös dran. Die anderen Bewohner leben in WGs, wo sie Einzelzimmer bewohnen, Toiletten, Duschen und Küche mit anderen teilen. 

Dass Klaus anders wohnt als die übrigen Bewohner, hat seinen Grund. Er ist hier Hausmeister, Materialwart, Gärtner, Nachtportier, Klagemauer und Streitschlichter in Personal- union. Er weiss, wie die Leute ticken und wie man mit ihnen umgehen muss, weil er selbst einmal in ihrer Lage war. Weil er selbst obdachlos war. Die Entbehrungen sieht man dem Mann mit dem herzhaften Lachen nicht an. Als er Pfarrer Sieber und den Pfuusbus kennen lernte, war das anders.
«Die Jahre auf der Strasse hatten mir gesundheitlich zugesetzt, mir ging es schlecht», erinnert sich Klaus. Kein Wunder: Auch als Obdachloser ging er in jener Zeit jeden Tag in eine Industriefirma zur Arbeit. «Ich kann nicht einfach herum- sitzen, ich muss etwas tun», sagt er. Die Nächte verbrachte er in den Wäldern am Stadtrand. «Wenn man jung ist, geht das», sinniert Klaus, «aber ich war damals schon Mitte 40.» 

Auslöser für seinen Absturz in die Obdachlosigkeit war die schmerzhafte Trennung von seiner Frau und damit auch von seinen drei Kindern. Eine leidige Geschichte, über die Klaus, der zuvor ein Vierteljahrhundert mit Begeisterung und enormem Einsatz als Kellner und Chef de Service in verschiedenen Gastronomiebetrieben gearbeitet hatte, nicht gern spricht. Immerhin: Heute hat er wieder regelmässig Kontakt mit seinen Kindern und seiner Frau. 

Bis 2007 kannte er Pfarrer Sieber bloss aus den Medien. Im Pfuusbus begegnete er dem Obdachlosenpfarrer dann persönlich. «Ich merkte sofort, dass da ein besonderer Mensch auf mich zukommt», erinnert sich Klaus. Schon am ersten 

Abend machte er sich nützlich und half kochen und beim Herrichten der Schlafplätze. Herumzusitzen war und ist nicht sein Ding. Klaus sieht die Arbeit und packt an. Das gefiel dem Pfarrer, der ihn bald zum Hauswart machte. Und als Ernst Sieber Brothuuse plante, war klar, dass Klaus auch hier den Part des Hauswarts übernehmen sollte. Aus der ersten Begegnung war eine Freundschaft geworden. «Ernst war für mich ein Vorbild mit Herz – er war für mich wie ein Vater.» 

Im Sommer wird Klaus 65. Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. «Ach was, jetzt geht’s erst richtig los!», prustet der vitale Mann los. Strahlend erzählt er vom Häuschen, das er sich vom Ersparten gekauft hat. Und von den Reisen, die er nun machen will. Bis Anfang März sah alles vielversprechend aus. Dann kam das Coronavirus. «Wie die Welt nachher aussieht, weiss ich nicht», sagt Klaus, «aber vom Pfarrer habe ich auch gelernt, Gottvertrauen zu haben.» (arb) 

*Name geändert