Allein, aber nicht verlassen

SWS-Mitarbeitende und ein Team von Freiwilligen versorgen nachts auf Zürichs Strassen Obdachlose mit warmem Tee und Decken. Heute nimmt uns Christine Diethelm auf eine Kältepatrouille mit.

Das Nachtlager der obdachlosen Frau ist speziell: Die etwa 30-Jährige hat eine Art Plane über eine Parkbank gezogen. Darunter fühlt sie sich genügend geschützt, um die Nacht zu verbringen. «Eine Anwohnerin hat uns auf sie aufmerksam gemacht», sagt Diethelm. Für solche Hinweise sind die Freiwilligen, die zwischen 23 Uhr und 3 Uhr nachts im Auftrag des Sozialwerks Pfarrer Sieber unterwegs sind, dankbar. «Viele Obdachlose würden wir sonst gar nicht finden.» Bei der Kältepatrouille geht es darum, zu schauen, ob die Menschen draussen etwas benötigen, um nicht zu erfrieren. «Wir bieten Tee und ein Gespräch und erzählen ihnen von der Möglichkeit, im Pfuusbus oder im Iglu zu übernachten oder sich in der Sunestube aufzuwärmen», sagt Diethelm.

Ihre Arbeit macht die 57-jährige Leiterin der Gassenarbeit aus Dankbarkeit, weil es ihr selbst gut geht. Zudem bewundert sie die Obdachlosen wegen deren Widerstandskraft und Kreativität, mit der sie sich über Wasser halten kann.

Den nächsten Obdachlosen finden wir in der Innenstadt. Er ist froh über ein warmes Getränk und die Möglichkeit, mit jemandem zu reden, der ihm zuhört. «Noch wichtiger ist es jedoch, Obdachlose zu finden, die von unserem Angebot nichts wissen und die dringend etwas brauchen», so Diethelm. Intuition und eine gute Beobachtung sind bei der Suche nach Schlafplätzen wichtig. Grundsätzlich geht es neben der Überlebenshilfe darum, mittels regelmässiger Besuche Vertrauen zu schaffen und so eine Beziehung aufzubauen.

«Es braucht mehrere Anläufe, um das Vertrauen eines Obdachlosen zu gewinnen»

Gegen zwei Uhr morgens stossen wir an einer Tramhaltestelle auf einen Mann, der sich an seine Sporttasche klammert und sein Gesicht hinter einer Baseballkappe verbirgt. Als Diethelm ihn anspricht, ist ihm seine Situation sichtlich peinlich. Er murmelt etwas von einem Freund, der ihn abholen sollte, aber nicht gekommen sei. Er weiss offensichtlich nicht, wo er die Nacht verbringen soll. Diethelm erzählt ihm vom Pfuusbus. Der Mann ist zunächst skeptisch und murmelt etwas von «kein Geld». Schliesslich ist er aber doch froh über die Aussicht, die Nacht nicht auf einem kalten Plastikstuhl verbringen zu müssen.

Endlich an der Wärme, wird der Mann gesprächiger. Er erzählt von seiner Tochter, die er in Zürich besucht hat, von der Scheidung, die ihn aus der Bahn geworfen hat. Wie es in seinem Leben weitergeht, weiss er nicht. Dass er ein warmes Bett und ein kräftigendes Frühstück bekommt, ist jedoch für ihn ein erster Lichtblick.

  • Anita Merkt, freie Mitarbeiterin