Ihr Glaube gibt Sarah Halt

Sarah wohnt seit bald einem Jahr in unserer Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli. Trotz traumatischer Erlebnisse hat sie den Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren. Ein Wunder.

Zuhause im SWS

Im Ur-Dörfli fühle ich mich wohl. Ich werde ernst genommen und nach Kräften unterstützt. Mein Ziel ist es, wieder selbständig zu wohnen. Das gelang mir trotz meiner Sucht lange Zeit gut. Drogen konsumiere ich zwar schon länger nicht mehr, dafür benötige ich Methadon. Bis vor gut anderthalb Jahren wohnte ich in meiner kleinen Wohnung in Zürich, dann erkrankte ich und musste für einen Spitalaufenthalt in den Sune-Egge. So kehrte ich ein bisschen zu meinen Wurzeln zurück. Denn seit ich in den 1980er-Jahren auf dem Platzspitz Pfarrer Sieber erstmals begegnete, kam ich immer wieder mit ihm und seiner Stiftung in Kontakt. Der Pfarrer war es, der mir meinen Glauben zurückgab. Er war ein Vorbild. Wenn wir uns begegneten, hatte er stets Zeit für mich. Und er betete mit mir, wenn ich das wollte. Obschon er vor drei Jahren starb, lebt sein Geist weiter. Für mich beispielhaft im Seelsorger des Sune- Egge. Andreas Käser hat ein feines Gespür für Menschen. Er begegnet mir immer auf Augenhöhe, nimmt mich für voll – und nicht als Fall. Schon gar nicht als hoffnungslosen. Dabei hätte ich allen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Denn dreimal war ich klinisch tot – und habe doch immer überlebt. Gott hat offenbar noch etwas mit mir vor.

Trauma in der Kindheit

Aufgewachsen bin ich in einem guten Elternhaus. Allerdings hätten sich Mutter und Vater für mich und meinen Bruder mehr Zeit nehmen können. Weil sie ein Geschäft aufbauten, mussten sie sich dort jedoch stark engagieren. Das Unheil brach über mich herein, als ich acht Jahre alt war: Ein Onkel missbrauchte mich. Ich wusste nicht, was mit mir passierte. Es tat einfach schrecklich weh. Und in mir ging etwas in Brüche, das nie mehr ganz heilte. Weil er mir drohte, getraute ich mich erst viel zu spät, mich meinen Eltern anzuvertrauen. Sie gingen mit mir sofort zur Polizei, um den Onkel anzuzeigen. Zu spät. Die Tat war verjährt. Heute gibt es diese Verjährungsfrist nicht mehr. Die Wut meiner Eltern auf ihn war riesig. Ich aber war einfach leer, ohnmächtig, beschämt, verzweifelt. Dank vieler Gespräche und Therapien kann ich heute darüber reden.

Drogen als Selbsttherapie

Diese Tragödie war wohl ein Grund dafür, dass ich drogensüchtig wurde. Mit Drogen versuchte ich, den seelischen Schmerz zu betäuben. Es klappte nicht wirklich, aber erstaunlicherweise verbitterte ich nicht. Dabei erlebte ich als junge Frau gleich nochmals einen Vertrauensbruch, als mein damaliger Freund, ein kräftiger Hells Angel, unseren damals zweijährigen Sohn schlagen wollte. Wie kann man ein so kleines Kind schlagen wollen? Schockiert floh ich mit dem Kleinen zu meinen Eltern.

Befriedigung im Beruf

Trotz dieser vielen menschlichen Enttäuschungen faszinierten mich Menschen mit ihren vielen Stärken und noch mehr Schwächen stets. Gerade die Schwächen machen uns menschlich, davon bin ich überzeugt. Meine Berufswahl war so gesehen auch kein Zufall. Ich hatte mich zur Pflegefachfrau und später in der Sterbebegleitung ausbilden lassen. Bis zu einem schweren Autounfall arbeitete ich trotz meiner Methadonabhängigkeit mehrere Jahre in Pflegeabteilungen verschiedener Spitäler. Gerade die Sterbebegleitung war für mich enorm bereichernd. Und vielleicht war ich mit meinem erlittenen Schmerz auch eine gute, weil sensible Begleiterin. Ich hoffe es zumindest. Jedenfalls bin ich dankbar, dass ich Menschen auf dem letzten Abschnitt ihres Lebenswegs begleiten durfte. Ich sehe es als Geschenk Gottes, dass ich trotz vieler Rückschläge weiterhin Freude am Leben und den Menschen habe. Und im Ur-Dörfli einen Liebsten gefunden habe.