Daheim

Hans-Peter R. (63) hat keine Familie. Im Sune-Egge fühlt er sich trotzdem nicht einsam.

«Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich vier war. Weil meine Mutter mit mir überfordert war, wuchs ich bei meiner Grossmutter im Glarnerland auf, wo sie ein Restaurant führte. Die Mutter meines Vaters zog mich auf und war der Anker in meinem Leben.

Nach der Oberschule machte ich keine Lehre, sondern begann gleich zu arbeiten. Zunächst sechs Jahre in einer Firma, die Grosshotelküchen produzierte. Das Büro ausgenommen versah ich sonst alle Chargen: von der Produktion über die Lagerbewirtschaftung bis zur Montage. Danach folgten Anstellungen im Holzbau und in der Autobranche. Mein Berufsleben nahm eine dramatische Wendung, als eines Tages eine Eisenstange auf mich herabfiel, einen Fuss zertrümmerte und meinen rechten Arm schwer verletzte. Als dann 1986 meine Grossmutter starb, brach die Katastrophe über mich herein. Ich verlor den einzigen Menschen, dem ich vertraute und bei dem ich Geborgenheit erlebte.

Dass man mich dann unter Vormundschaft stellte, ohne mit mir zu sprechen, warf mich vollends aus der Bahn. Es war eine  Demütigung sondergleichen. Ich konnte mich nicht wehren und wurde in ein Heim im Berner Seeland verfrachtet. Diese Ungerechtigkeit macht mich noch heute fuchsteufelswild. Fortan verfügte ein Vormund über mich. Und er tat dies perfid und rücksichtslos. So erfuhr ich zum Beispiel erst zwei Jahre später und zufällig, dass ich eine IV-Rente hatte.

Doch nun war das Mass voll. Ich büxte aus, ging nach Zürich und fand Arbeit in einem Hotel unweit des Platzspitzes. Ich hatte schon vorher Drogen konsumiert. Seelisch aus dem Gleichgewicht und mit Blick auf den Platzspitz, zog mich nun die flirrende Atmosphäre der offenen Drogenszene magisch an. Hier begegnete ich auch erstmals Pfarrer Sieber. «Was ist denn das für ein sympathischer Clown», dachte ich mir.

In seinem Sozialwerk fand ich schliesslich ein Daheim. Im Sune-Egge kann ich es am besten mit den Kunsttherapeutinnen Jana und Yvonne. Wir haben es oft lustig, führen aber auch tiefgründige Gespräche. Beim Malen gebe ich meiner Kreativität Ausdruck. Auch wenn keine Angehörigen mehr da sind – Angst vor dem einsamen Sterben habe ich nicht, weil ich im Sune-Egge einige liebe Leute gefunden habe. Das reicht mir.»

• aufgezeichnet von Walter von Arburg