Ist da jemand?
Menschen am Rande der Gesellschaft leiden körperlich und seelisch. Und sie sind allein.
Wer Schmerzen hat, zieht sich zurück, erträgt das Getümmel und das Lachen nicht. Wenn dann niemand da ist, der sich für einen interessiert und sich um einen kümmert, fühlt man sich schnell allein. Solange seelische Schmerzen nicht verarbeitet sind, ist es schwierig, sich nicht einsam zu fühlen.
Wir vom Sozialwerk Pfarrer Sieber begegnen täglich schmerzgepeinigten, vereinsamten Menschen. Wir versuchen, ihnen beizustehen. Ganz nach dem Vorbild des barmherzigen Samariters, von dem Jesus in der Bibel erzählt (Lk 10,33). Als ich neulich die Geschichte vom barmherzigen Samariter an einer Andacht im Fachspital Sune-Egge vortrug, sagte ein Patient lautstark: «Diese Geschichte ist für reiche und gesunde Menschen geschrieben. Die Reichen haben die Kraft und auch die Möglichkeiten zu geben, die sollen helfen; ich selber habe nichts zu geben. Sie sollen mir etwas geben, dann helfen sie mir.»
Ein anderer Patient erwiderte daraufhin: «Denkst du wirklich, es geht in der Geschichte darum, dass der Samariter möglichst viel gibt und damit ist alles getan? Wenn ich betteln muss und jemand wirft mir Geld hin, merke ich, wie wertlos ich für die Gesellschaft geworden bin. Ich spüre wie wortlos gesagt wird: Nimm und lass mich in Ruhe! Das ist nicht die Barmherzigkeit, die ich möchte, sondern entwürdigend. Wenn mich niemand wahrnimmt, sondern ich im besten Fall abgespeist werde, merke ich so richtig, dass ich für die Leute Luft bin. Nein, ich glaube, die Geschichte spricht uns alle an, auch uns Bettler. In der Geschichte geht es nicht darum, wie viel der barmherzige Mensch gibt, sondern, dass er den leidenden Menschen gesehen hat und das, was er macht, mit dem Herzen macht. Lieblose Geschenke schmecken nicht.»
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, welche tiefgründigen Gedanken sich unsere Patienten machen. Immer wieder zeigen sie ihre Sehnsucht nach Begegnung. Natürlich gibt es Nöte und Schmerzen, die medizinisch, materiell und psychologisch behandelt werden müssen. Aber damit ist Leidenden in ihrer Einsamkeit erst ansatzweise geholfen. Um ganzheitlich zu gesunden, brauchen Notleidende Menschen, die ihnen in ihrem Schmerz barmherzig begegnen. Durch einen freundlichen Blick, ein kurzes Wort erhöht sich der Wert des Gegebenen. Und – die Gebenden werden selbst zu Beschenkten.
• Andreas Käser, Seelsorger