Nächtliche Gespräche

Christoph Domeisen geht regelmässig auf Kältepatrouille, motiviert, mit wachen Sinnen, aber ohne Helfersyndrom.

Dieser Mann scheint unerschöpfliche Energiereserven zu haben: Neben seinem Vollzeitjob in der Robotik-Division von ABB engagiert sich der vierfache Vater, nach seiner Zeit als Schulpfleger, nun seit drei Jahren im Gemeinderat in Egg ZH. Seine Ärmel krempelt er ausserdem in zwei Ortsvereinen hoch.

«Ich mache das gerne. Es ist mein Dienst an der Gesellschaft. Aber das musst du nicht schreiben, es geht ja nicht um mich.» Wie dem auch sei – seit einem Jahr macht Domeisen nun auch regelmässig Kältepatrouillen fürs SWS. «Nach sechs Monaten im Homeoffice war mein Bedürfnis nach einer sinnvollen, anpackenden Beschäftigung ausser Haus gross geworden», erinnert er sich. Die Bekanntschaft mit George Angehrn, dem langjährigen Leiter unserer Suchthilfeeinrichtung Ur-Dörfli, brachte ihn auf die Idee, sich als Freiwilliger für die nächtlichen Kältepatrouillen zu melden.

Nach einer gründlichen Einführung war der dynamische 48-Jährige in den folgenden Monaten mehr als ein Dutzend Mal als Patrouilleur unterwegs. «Mich faszinieren die Menschen, die wir nachts in der Stadt antreffen», sagt Christoph Domeisen. Scheue Obdachlose, rastlose Vereinsamte, gestrandete Partygänger sowie umsichtige Polizeistreifen prägen das nächtliche Stadtbild, das so anders ist als jenes am Tag. «Nicht nur, dass man nachts Obdachlose sieht, die tagsüber in der Masse der Menschen kaum auszumachen sind», so Domeisen. «Nachts tickt die Stadt anders. Zum Beispiel haben die Leute Zeit für Gespräche.»

Das fasziniert ihn unter anderem an den nächtlichen Patrouillen. Zu hören bekommt Domeisen erschütternde Lebensgeschichten ebenso wie banalen Smalltalk und unwirsche Zurückweisungen. «Alles gehört dazu. Wenn jemand nichts von uns wissen will, haben wir das zu akzeptieren. Das dürfen wir nicht persönlich nehmen. Man darf das Schicksal des anderen nicht zum eigenen Problem machen. Nur dann nehme ich seine Selbstbestimmung ernst. Es geht darum, Menschlichkeit zu geben.» (arb)