Clichés schachmatt gesetzt

Mit einem selbst organisierten Schachturnier widerlegen Betroffene das Bild des geistig nicht ganz ernstzunehmenden Obdachlosen.

Im engen Lokal des Gassencafés Sunestube herrscht emsiges Treiben. Angestellte sind mit Kaffeetassen und Tellern unterwegs und bedienen die Gäste, jemand verlangt nach einem Taschentuch und aus der Küche dringt das Klappern von Pfannen. Hier unterhalten sich drei Gäste lautstark über die letzte GV der Credit Suisse, dort ruft ein Gast einem anderen einen flapsigen Spruch nach. Der Lärmpegel ist hoch. Inmitten dieses Tohuwabohus beugen sich sechs Leute konzentriert über Schachbretter und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Das 1. Obdachlosen-Schachturnier im SWS ist in vollem Gang.

Vom Erfolg überrascht
Initiant des Turniers ist nicht etwa ein Mitglied des Sunestube-Betreuungsteams, sondern Sunestube-Gast Christian. «Auf die Idee bin ich im Pfuusbus gekommen», erzählt er, der im abgelaufenen Winter in der Notschlafstelle regelmässig Schutz vor Kälte und Nässe fand. «Dort erlebe ich allabendlich, wie gerne die Leute miteinander spielen. Uno, Jass – und besonders Schach.» Die Sunestube, in der er sich tagsüber oft aufhält, bot ihm an, das Turnier in seinen Räumlichkeiten durchzuführen. Das Turnier ist ein durchschlagender Erfolg. «Ich rechnete mit einigen wenigen Anmeldungen», sagt Christian. «Ich war platt, als auf meinem Aushang innert kürzester Zeit 16 Namen figurierten.» So machte er sich an die Ausarbeitung eines Turniertableaus, das er aber immer wieder anpassen musste, weil sich laufend weitere Interessierte meldeten. Schliesslich nahmen 36 Schachbegeisterte am Wettstreit teil. Ein weiteres Turnier hat Christian bereits geplant.

Das Selbstwertgefühl steigern
Für Christian und sein inzwischen gegründetes OK mit Hanna und Roberto ist das Schachturnier nicht nur ein Erfolg, weil daran viele Menschen vom Rande der Gesellschaft daran teilnehmen und so ein Ziel und etwas Tagesstruktur haben. «Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beweisen sich und anderen, dass sie etwas können und ernst genommen werden sollten», so Christian. «Denn auch wenn die meisten dieser Leute im Leben viele Probleme und Lasten zu schleppen haben, sind sie doch nicht dumm.»